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Ukraine-Krise: Wie ich mit meinem 14jährigen Sohn spreche, der Angst vor dem 3. Weltkrieg hat

Heute morgen schrieb mein 14jähriger Sohn im Familienjet (ja, wir nennen unseren Gruppen-Chat „Familienjet“) das Folgende:

„Mama und Papa, ich habe mitbekommen dass es vllt einen Krieg geben wird, das habe ich online gelesen und das macht mir große Angst, da Russland so viele Waffen hat und die Ukraine, auch ich habe Angst, dass unser Familie was passieren könnte.“

Mir schossen die Tränen in die Augen, als ich das las. Mir ging so das Herz auf. Ich kann mir vorstellen, dass Euch die Situation selbst auch beunruhigt und/oder dass auch Eure Kinder mit solchen Ängsten zu Euch kommen. Ich glaube, dass es mir gelungen ist, mich selbst und meinen Sohn zu beruhigen. Darum möchte ich mit Euch teilen, was ich meinem Sohn geantwortet habe.

Empowerment mit 4 Kompetenzen

Ich wollte meinen Sohn beruhigen, ohne seine Gefühle zu bagatellisieren. Daher habe ich versucht, ihn mit dem Vermitteln von 4 Kompetenzen zu empowern, diese Ängste besser bewältigen zu können:

1. Politisch-historische Kompetenz – wie kann ich diesen Konflikt auf seine Gefährlichkeit hin einschätzen?

2. Medienkompetenz – wie kann ich die Qualität von Berichten über diesen Konflikt einschätzen?

3. Emotionale Kompetenz a) – wie kann ich mit beängstigenden Informationen umgehen?

4. Emotionale Kompetenz b) – wie kann ich mit der Tatsache umgehen lernen, dass das Leben an und für sich riskant ist?

Politisch-historische Kompetenz

Spätestens als mein Sohn die Frage hinterherschob, ob denn die Ukraine Deutschland angreifen könnte, wurde mir klar, dass er, wenn er sich mit solchen Fragen beschäftigen will, mehr politisch-historische Kompetenzen brauchen würde. Ich habe ihm erstmal erklärt, dass es meiner Einschätzung nach drei verschiedene Arten von Krieg geben könnte, die unterschiedlich wahrscheinlich sind.

Die wahrscheinlichste der drei Kriegs-Arten ist nach meiner Einschätzung in der akuellen Ukraine-Krise ein mithilfe der Kontrolle von Finanz- und Informationsströmen geführter Krieg. Am wahrscheinlichsten ist er deshalb, weil er ja schon längst im Gange ist. Auf der finanziellen Ebene sind Sanktionen im Gespräch und teilweise auch schon in Kraft. Auf der Informationsebene ist deutlich wahrnehmbar, wie beide Konfliktpartner bemüht sind, ihre jeweilige Deutung der Situation – die Russen bereiten einen Angriff vor versus wir Russen wollen uns nur absichern und auf keinen Fall angreifen – in den Medien durchzusetzen bemüht sind.

Die zweite Art von Krieg ist ein Krieg in der Real-World, allerdings erstmal nur lokal begrenzt in der Ukraine bzw. an den Grenzen zur Ukraine. Dieser Krieg ist, zumindest wenn wir den Darstellungen der russischen Seite Glauben schenken, weniger wahrscheinlich als die erste Art Krieg. Dennoch ist es unklar, wieviel weniger wahrscheinlich diese militärische Auseinandersetzung ist.

If the Russians love their children too

Die Dritte Art von Krieg ist der Krieg, der meinem Sohn solche Ängste macht: Der nicht mehr lokal und sogar mit Atomwaffen geführte Krieg. Aber gerade wegen der Atomwaffen ist diese Kriegsart von den dreien die am wenigsten wahrscheinliche. Ich habe meinen Sohn auf den berühmten Hit aufmerksam gemacht, den Sting 1985 veröffentlicht hat: „Russians“ – mit der Textzeile „It would be such an ignorant thing to do if the russians love their children too“. Ich habe meinem Sohn damit erklären wollen, dass

a) auch die Russen ihre Kinder lieben und auch sie daher den Einsatz von Atomwaffen vermeiden wollen.

b) Krieg nicht gleich Krieg ist und dass ein Atomkrieg wenig wahrscheinlich ist.

Zu der historischen Dimension habe ich meinem Sohn vom kalten Krieg erzählt, in dem auf eine Weise zwar alle verloren haben, die russische Seite aber mehr als die westliche Seite und wie das heute noch auf der einen Seite Gefühle von Überlegenheit und auf der anderen Seite Scham hervorruft – und wie diese Gefühle diesen Konflikt befeuern.

Medienkompetenz

Mein Sohn schrieb ja, dass er irgendwo online aufgeschnappt habe, dass es auch zu einem Atomkrieg kommen könnte. Hier habe ich meinem Sohn erklärt, dass insbesondere Online-Medien immer vor zwei Problemen stehen:

  1. befinden sie sich in einem massiven Wettbewerb um Aufmerksamkeit. Daher müssen insbesondere Onlinemedien ihre Inhalte auf möglichst interessante Weise vermitteln
  2. ist die Aufmerksamkeitsspanne ihres Publikums kurz. Daher müssen Onlinemedien ihre Inhalte möglichst knapp vermitteln.

Beides macht es nahezu unmöglich, Inhalte in der Komplexität darzustellen, die sie eigentlich immer an sich haben. Statt dessen werden Nachrichten eher emotional vermittelt, also auf eine Weise oft auch dramatisierend. Ich wollte meinem Sohn damit vermitteln, dass wir auch jenseits der aufmerksamkeitsheischenden und alarmistischen Schlagzeilen weiterlesen müssen, um eine Situation gut einschätzen zu lernen. Oft – aber nicht immer – zeigt sich dann, dass die Situation nicht so schlimm ist, wie sie auf den ersten Blick aussieht.

Emotionale Kompeten im Umgang mit beängstigenden Informationen

In dem berühmten Gelassenheitsgebet unternimmt der us-amerikanische Theologe Reinhold Niebuhr so um 1941, also gegen Anfang des 2. Weltkriegs eine Unterscheidung von zwei Arten von Situationen vor: Situationen, die wir ändern können versus Situationen, die wir nicht ändern können. Solange wir uns das nicht immer wieder vor Augen halten, können wir leicht in die Falle geraten, uns mit Gedanken über eigentlich unkontrollierbare Situationen eine Schein-Kontrolle zu vermitteln zu versuchen. Anstatt uns zu beruhigen, triggern wir damit aber unsere Ängste.  Dieses Nachdenken über durch uns Unkontrollierbares ist letztlich nicht nur unnütz, sondern sogar schädlich. Wir machen es damit für uns selbst nur schlimmer und für niemand anderen besser.

Emotionale Kompetenz im Umgang mit Verletzlichkeit und Sterblichkeit

Wir leben in einer Zeit und einer Kultur, die uns ständig vermittelt, dass wir im Grunde alles haben können und sollten: Wenn wir nur den Preis zahlen, kriegen wir es auch. Leider führt diese Grundüberzeugung zu einer Selbstüberschätzung, die uns Scham- und Schuldgefühle einflösst, wenn wir natürlich merken, dass wir ihr nicht gerecht werden können. Wir haben nicht alles im Griff, es ist nie ganz ausgeschlossen, dass wir oder die Menschen, die wir lieben, erkranken oder Opfer von Unfällen oder gar von Katastrophen werden. Was ich als heilsam empfinde dabei, ist eine, wie ich glaube, aus der Mode gekommene Grundhaltung von Demut.

Ich bin nicht wirklich christlich, geschweige denn, dass ich in die Kirche gehe – nur spüre ich trotzdem immer dann, wenn ich mich an das Vaterunser-Gebet erinnere, wie sich tief in mir etwas entspannt: „Vater unser im Himmel, Dein Reich komme, Dein Wille geschehe“. Wenn ich mich daran erinnere, dass das Leben ein Geschenk und keine Ware ist, kann ich auch mehr Dankbarkeit für das Leben bis zum jetzigen Zeitpunkt empfinden – und in dem Wohlgefühl, was damit einhergeht, kann ich auch mehr Zuversicht für eine unsichere Zukunft entwickeln.

Et hätt no emmer joot jejange

Zum Schluss habe ich meinem Sohn noch erklärt, dass es diese Art von Konflikten in meiner Wahrnehmung schon immer mal wieder gab. Ich habe ihm gesagt, dass ich für mich gelernt habe, solche Probleme und die damit verbundenen Ängste als zum Leben und zum Erwachsenwerden dazugehörend zu akzeptieren – und dass es, wie es im Kölsche Jrundjesetz heißt, noch emmer joot jejange hät.

 

 

 

 

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