Wir Menschen sind vor allem anderen soziale Wesen. Die allermeisten von uns können sich nur dann umfassend wohlfühlen, wenn es uns gelingt, zumindest ein paar wirklich gute, am besten noch nahe Beziehungen zu anderen Menschen zu führen. Es gehört zu unseren Grundbedürfnissen, zu lieben und geliebt zu werden. Aber das ist leider gar nicht immer so einfach. Wenn sie diese Schwierigkeiten realisieren beginnen viele Menschen, große Hoffnungen auf die Gewaltfreie Kommunikation (GfK) nach Marshall B. Rosenberg zu setzen. Das war auch bei mir so – die Hoffnungen haben sich bei mir aber nur zu einem geringen Teil erfüllt.
In dem folgenden Beitrag möchte ich Dir eine Neuerung der GfK vorstellen – und Dir erzählen, wie ich durch diese Neuerungen wieder mehr Erfolgserlebnisse mit der GfK erlebe.
Meine GfK-Geschichte
Ich befasse mich seit dem Ende der 1990er Jahre mit der GfK. Anfangs fand ich sie einfach interessant und irgendwie liebenswürdig. Lange Zeit hatte ich nur so die Grundkenntnisse drauf und habe sie auch nur lose angewendet.
Erst nachdem mein inzwischen 14jähriger Sohn aus dem Säuglingsalter rauskam und irgendwie klar wurde, dass seine Mutter und ich nicht gut miteinander auskamen, habe ich begonnen, mich ernsthafter mit der GfK zu befassen. Ich habe eine Reihe von Büchern gelesen, für mich selbst mit einem GfK-Arbeitsbuch regelrecht trainiert und auch mit der Mutter meines Sohnes einen GfK-Partnerschaftskurs und einen von der GfK geprägte Paarberatung in Anspruch genommen. Ich habe zwar nie das Level von GfK-Trainer:innen erreicht, aber die bedürfnisorientierte Grundhaltung und die Anwendung der vier Schritte sowohl beim Mich-Erklären als auch beim Zuhören ganz gut verinnerlicht. Ich wollte meine kleine Familie damit retten. Das hat nicht funktioniert. Ich habe Jahre gebraucht, um mich emotional (und finanziell) von dem folgenden Crash zu erholen.
Leider ist auch die Beziehung danach trotz meiner GfK-Bemühungen gecrasht und ich bin wieder damit beschäftigt, mich davon zu erholen. Auf der emotionalen Ebene fühlt sich dieser Crash sogar noch schmerzlicher an als der letzte. Die GfK hat zwar mein Leben sehr bereichert. Die Hoffnungen, die ich in die GfK gesetzt hatte, haben sich aber nur zu einem kleinen Teil erfüllt.
Diese Version dieses Blog-Beitrags ist, wie ich gestehen möchte, schon die zweite. Die erste war Version war zu stark von meiner Enttäuschung über meine unerfüllten GfK-Hoffnungen geprägt, dass sie sogar zu einem Streit mit einem GfK-begeisterten Freund geführt hat, der sogar noch bei Marshall Rosenberg selbst gelernt hat und von der GfK beruflich und persönlich sehr geprägt ist.
Bei einem US-amerikanischen Beziehungstherapeuten namens Terry Real habe ich eine Abwandlung der vier Schritte der GfK kennengelernt, die meine Perspektive auf die GfK verändert hat und neue Hoffnung in mir nährt. Daher möchte ich sie auch mit Dir teilen.
Die vier Schritte der gewaltfreien Kommunikation
Der praktische Kern der gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg besteht aus vier Schritten, die der leider bereits 2015 verstorbene Rosenberg in folgendem Satz zusammenfasste: „„Wenn ich a sehe, dann fühle ich b, weil ich c brauche. Deshalb möchte ich jetzt gerne d.“ – also A. Beobachtung, B. Gefühl C. Bedürfnis D. Bitte.
Das ist die oberste Ebene der GfK – und sie ist bewusst einfach gestaltet, damit auch ihre Anwendung leichtfällt. Die Idee dabei ist, dass wir es unserem Gegenüber so leichter machen, mitfühlend mit uns umzugehen und ihm/ dabei seine/ihre Freiheit lassen.
Es ist natürlich keine „richtige“ GfK ist, wenn z.B. jemand sagt „Wenn ich sehe, dass Du heute schon wieder keine Zeit für mich hast, dann fühle ich mich vernachlässigt und nicht respektiert. Ich habe das Bedürfnis nach Nähe zu Dir und bitte Dich, dass Du Dir Zeit für mich nimmst.“ Sich „vernachlässigt“ zu fühlen ist ja nicht wirklich ein Gefühl, sondern eine Interpretation des Verhaltens des Gegenübers, die im Grunde eine Unterstellung darstellt.
Streits um Deutungshoheit
Um diese Interpretationen aber können dann Streits um Deutungshoheit entstehen, wie z.B. „Also wenn ich Dich sagen hören, dass ich schon wieder keine Zeit für Dich hätte und dich vernachlässigen würde, dann fühle ich Wut. Für mich stimmt das so gar nicht. Ich möchte, dass Du aufhörst, mir sowas zu unterstellen.“ Dass das die zwei Leute einander nicht näherbringen wird, liegt auf der Hand. Klar könnten die dann noch besser GfK lernen – aber haben wir wirklich Zeit und Lust dafür, uns damit zu beschäftigen, wie wir „noch besser in GfK werden“ – anstatt uns miteinander zu beschäftigen?
Das Rückmeldungs-Rad von Terry Real
Der Beziehungstherapeut und Autor Terry Real beschreibt ebenfalls ein 4-schrittiges Vorgehen. Nur schiebt er zwischen der Beobachtung und dem Gefühl noch einen Schritt ein. Auf Englisch heißt dieser zweite Schritt „What i made up about it“, also „Was ich mir zu der Beobachtung erzähle ist…“ Es bleiben trotzdem 4 Schritte, weil Terry Real darauf verzichtet, nach der Beschreibung der Wahrnehmungsinterpretation noch extra auf das zugrundeliegende Bedürfnis einzugehen.
Beobachtungsinterpretationen und häßliche Geschichten
Wenn wir in dem Beispiel bleiben von dem Menschen, der „in GfK-Sprache“ sagt „Ich fühle mich von dir vernachlässigt“, dann liegt auf der Hand, dass dieser Mensch da nicht wirklich etwas fühlt, sondern sich selbst eine häßliche Geschichte erzählt – und dass der andere Mensch, der diese serviert bekommt, sich da nicht gesehen fühlt, liegt auch auf der Hand. Denn niemand lässt sich gerne sagen, er/sie würde jemanden „vernachlässigen“.
Die Verantwortung für die eigenen Interpretation übernehmen
Gehen wir nochmal in das Anfangs-Beispiel zurück „Wenn ich sehe, dass Du auch heute wieder keine Zeit für mich hast, dann erzähle ich mir die häßliche Geschichte, Zeit mit mir zu verbringen wäre dir nicht wichtig. Ich beginne dann sogar, an meiner Attraktivität für dich zweifeln und das tut eklig weh. Magst Du mich bitte irgendwie darin unterstützen, mit dieser häßlichen Geschichte fertig zu werden?“
Wenn Du das jetzt liest und Dir vorstellst, Du wärest die Person, die hier angesprochen und um Unterstützung gebeten wird: Was fühlt sich besser an:
- a) „Wenn ich sehe, dass Du heute schon wieder keine Zeit für mich hast, dann fühle ich mich vernachlässigt und nicht respektiert. Ich habe das Bedürfnis nach Nähe zu Dir und bitte Dich, dass Du Dir Zeit für mich nimmst.“
oder
- b) „Wenn ich sehe, dass Du heute schon wieder keine Zeit für mich hast, dann erzähle ich mir die häßliche Geschichte, Zeit mit mir zu verbringen wäre Dir nicht wichtig. Ich beginne dann sogar, an meiner Attraktivität für Dich zweifeln und das tut eklig weh. Magst Du mich bitte irgendwie darin unterstützen, mit dieser häßlichen Geschichte fertig zu werden?“
Wo fühlst Du Dich als Angesprochene/r weniger angegriffen und stärker motiviert, eine Form der Unterstützung zu geben?
Meine zwei Kritik-Punkte an der GfK
Der erste Kritikpunkt, den ich – bei allem Respekt und aller Dankbarkeit – an den 4 Schritten der GfK habe ist, dass sie weniger als das Feedback-Wheel von Terry Real dazu anleiten, sich und dem Gegenüber das „Dazwischen“ zwischen Reiz und Reaktion, also zwischen der Wahrnehmung und den eigenen Gefühlen bewusst zu machen. Das kann dazu führen, dass wir unsere häßlichen Geschichten für wahr halten und uns somit uns der geteilten Realität mit unserem Gegenüber herauskatapultieren. Wird die GfK so genutzt, schafft sie nicht mehr, sondern vernichtet sogar Verbundenheit und letztlich manchmal sogar Beziehungen.
Der zweite Kritikpunkt ist, dass die GfK – wenn wir sie nur oberflächlich kennenenlernen – allzu leicht als „Gesprächstechnik“ missverstanden werden kann. Dann wird die GfK zu einer reinen Form-Sache. „Also das war jetzt aber nicht gute GfK, wie Du das gesagt hast.“ „kannst Du mir das bitte in GfK sagen, damit es mir nicht so weh tut?“
Es kommt aber nicht nur darauf an, WIE wir etwas sagen, sondern auch WAS wir sagen. Der zweite Schritt des Feedback-Wheels von Terry Real leitet dazu an, darauf zu achten, WAS wir sagen. Denn wir wirklich die Verantwortung für unsere Interpretationen unserer Wahrnehmung übernehmen, achten wir nicht mehr nur auf die Form unserer Mitteilungen, sondern auch auf deren Inhalt.
Die Geschichten hinter den häßlichen Geschichten
Wenn wir uns und einander auf diese Weise unsere häßlichen Geschichten bewusst und transparent machen, können Dinge stark in Bewegung kommen, die vorher jahrelang festgefahren schienen. Denn dann können wir uns fragen, woher diese häßlichen Geschichten kommen und welchen Wahrheitsgehalt sie heute noch haben – hinter wiederkehrenden häßlichen Geschichten stecken nämlich oft Geschichten, die wir früher so erlebt zu haben glauben.
Meine eigene Liebes-Geschichte als Beispiel
Ich nehme hier meinen Mut zusammen und meine schmerzliche Liebesgeschichte als Beispiel. Das ganze Thema und auch das Beispiel mit dem „Du vernachlässigst mich!“ habe ich nämlich nicht zufällig gewählt. Ich hatte das so über viele Jahre mit meiner geliebten Freundin – bis ihr das zu viel wurde und sie sich getrennt hat.
Klar gehören immer zwei dazu und klar stellt es eine Form von Ohnmachtsabwehr dar, wenn ich mir selbst die ganze Verantwortung für das Scheitern der Beziehung mit meiner Exfreundin gebe – nur wünschte ich doch, ich hätte früher und stärker die Verantwortung für meine häßliche Geschichte übernommen, ich wäre nicht attraktiv genug für sie gewesen.
Denn hinter dieser häßlichen Geschichte stecken zwei weitere unglückliche Liebesgeschichten,
a) die unglückliche Liebesgeschichte, die ich mit meiner für mich als Kind eher weniger zugänglichen Mutter erlebt habe;
b) die unglückliche Liebesgeschichte, die mein inneres Kind mit mir erlebt hat, weil es bei mir keine Heimat gefunden und diese dann immer bei Frauen gesucht hat – die damit überfordert waren, wie auch meine Exfreundin.
Wie Du das hier beschriebene für Dich nutzen kannst
Wenn Du das nächste Mal einen Konflikt mit jemandem hast, dann nutze die vier Fragen des Rückmeldung-Rads/Feedback-Wheels von Terry Real, um Deinem Gegenüber die Möglichkeit zu geben, fürsorglich mit Dir und Eurer Beziehung umzugehen:
- Was habe ich gesehen/wahrgenommen? Das solltest Du wirklich behavioristisch beschreiben, also wie ein/e Drehbuchautor:in eine Filmszene rein äußerlich von den Bildern her beschreiben würde – ohne dass er/sie dabei auf das Innenleben der Figuren eingeht.
- Was habe ich mir zu meinen Wahrnehmungen erzählt? Hier beschreibst Du dann, was Du für dich aus dem, was Du wahrgenommen hast an Bedeutung entwickelt hast. Das können dann eben auch „häßliche Geschichten“ sein, die Du dir selbst erzählst.
- Was fühle ich? Nach dem Du schon Deine Interpretationen Deiner Wahrnehmungen ergründet hast, dürfte es Dir jetzt wesentlich leichter fallen, wirklich von den Gefühlen statt von den Geschichten zu sprechen. Typische GfK-Anfänger:innen-Formulierungen wie „ich fühle, dass…“ dürften dann weniger auftreten und stattdessen kannst Du einfacher sagen , dass Du z.B. Trauer, Schmerz, Angst, Scham oder Reue fühlst. Noch besser funktioniert das meiner Erfahrung nach, wenn Du dabei sogar das Gefühl mit einer Körperwahrnehmung verknüpfst wie z.B. „Ich fühle Verlustangst, und die drückt mir auf die Brust, hier in der Herzgegend, wie ein Stein, der auf mir liegt.“
- Was würde ich mir von Dir wünschen? Hier ist es entscheidend, ob Du die Wünsche, die Du dann äußerst, auch actionable formulierst. Du kannst es Dir z.B. wünschen, dass jemand Dich mehr liebt – aber für diese Person ist so ein Wunsch nicht actionable, weil wir uns unsere Gefühle für jemanden ja nicht backen können. Stattdessen kannst Du darum bitten, dass Dein Gegenüber sich überlegt, ob es zu einem bestimmten Zeitpunkt – z.B. jetzt gleich – eine bestimmte Handlung ausführen mag, wie z.B. „Magst Du mich jetzt mal in den Arm nehmen und mich schweigend halten?“
Falls Du mehr darüber erfahren magst, wie wir das üben können – dann melde Dich doch bei mir.